Ein neues Verständnis von Gammastrahlenausbrüchen

Eine ungewöhnliche kosmische Explosion hat der Forschung einen gewaltigen Strich durch die astronomische Rechnung gemacht und sie dazu gezwungen, das bisherige Wissen über kurze und lange Gammastrahlenausbrüche (Gamma Ray Bursts, GRB) zu hinterfragen.

Nach einer Entdeckung, die kürzlich von einem internationalen astronomischen Team gemacht wurde, muss die Wissenschaft ihre lang etablierten Ansichten über GRB nun revidieren. Die Forschung des Teams nach einem ungewöhnlichen GRB führte zu Belegen für ein bis dato unbeobachtetes hybrides Verschmelzungsereignis von Neutronensternen. Die Ergebnisse des astronomischen Teams wurden in der Fachzeitschrift „Nature“ veröffentlicht.

Bei GRB handelt es sich um die energiereiche Strahlung aus gewaltigen kosmischen Explosionen von Gammastrahlen. In der Forschung dienen sie als Signatur für verschiedene Arten von sterbenden Sternen. Jahrzehntelang waren Astronominnen und Astronomen überzeugt, ein solides Verständnis vom Grundwesen der GRB zu haben: nämlich, dass sich lang anhaltende Ausbrüche – mit einer Dauer von mehr als zwei Sekunden – ereignen, wenn ein massereicher Stern sich seinem Lebensende nähert und sein Kern zu einem Schwarzen Loch kollabiert, wodurch es zu der gigantischen Explosion einer Supernova kommt. Kurze Ausbrüche mit einer Dauer von weniger als zwei Sekunden ereignen sich hingegen, wenn zwei hyperdichte Objekte, wie etwa zwei Neutronensterne, zusammenstoßen und dabei in einer sogenannten Kilonova-Explosion ungeheure Energiemengen freisetzen.„Es herrscht seit langem die astronomische Ansicht, dass sich Gammastrahlenausbrüche in zwei Kategorien einteilen lassen: lange Ausbrüche durch implodierende Sterne und kurze Gammastrahlenausbrüche durch die Verschmelzung von kompakten stellaren Objekten“, sagt der Astrophysiker und Mitautor der Studie, Dr. Chris Fryer vom Los Alamos National Laboratory (LANL), USA, in einer Pressemitteilung auf ‚EurekAlert!‘. „Bei einem Ereignis, das jüngst beobachtet wurde, entdeckten wir jedoch eine Kilonova einem lang anhaltenden Gammastrahlenausbruch, was dieses schlichte Bild ziemlich durcheinandergewirbelt hat.“ Die Forschung, die zur Identifikation dieses ersten langen GRB aus einer Verschmelzung von Neutronensternen führte, wurde von den EU-finanzierten Projekten BHianca und AHEAD2020 unterstützt.

Am 11. Dezember 2021 stellten mehrere Observatorien und Satelliten einen GRB von nahezu ungekannter Helligkeit fest, der vom Rand einer etwa eine Milliarde Lichtjahre entfernten Galaxie ausging. Der Ausbruch, der GRB 211211A getauft wurde, dauerte 50 Sekunden, doch seine Emissionscharakteristika entsprachen nicht dem Profil eines lang anhaltenden Ausbruchs. Bei Beobachtungen, die im Anschluss daran gemacht wurden, wurde schließlich eine Kilonova identifiziert – ein Phänomen, das bis dahin eigentlich mit kurzzeitigen Ausbrüchen in Verbindung gebracht wurde, welche sich bei der Verschmelzung von kompakten stellaren Objekten ereignen.

„Unser Modellierungsteam in Los Alamos verglich diese Beobachtung mit einer Reihe von Supernova- und Kilonova-Simulationen und wir konnten das Signal einfach keinem Supernova-Modell überzeugend zuordnen; dafür gab es jedoch mehrere Kilonova-Modelle, die sich gut mit den optischen und Infrarot-Datenpunkten deckten“, erklärt Mitautor und LANL-Kollege Dr. Ryan Wollaeger in der Pressemitteilung. „Um diesen Transienten ausreichend zu verstehen, sind jedoch noch weitere theoretische Modellierungen erforderlich.“

Dieser ungewöhnliche Gammastrahlenausbruch ist der erste astronomische Beleg für ein hybrides Ereignis, das den etablierten astronomischen Konsens über Gammastrahlenausbrüche in Frage stellt. Mitautorin und LANL-Teammitglied Dr. Eve Chase sagt abschließend: „Wir können nicht mehr davon ausgehen, dass alle kurzen Ausbrüche durch Neutronensternverschmelzungen verursacht werden und alle langen Ausbrüche durch Supernovae. Es ist uns jetzt klar, dass Gammastrahlenausbrüche wesentlich schwerer einzuordnen sind. Diese Entdeckung bringt unser Verständnis von Gammastrahlenausbrüchen an die Grenzen.“

BHianca (Black Hole Interactions and Neutron star Collisions Across the universe) endet 2026. AHEAD2020 (Integrated Activities for the High Energy Astrophysics Domain) endet 2024. Beide Projekte werden von der Universität Tor Vergata in Rom koordiniert.

Weitere Informationen:

Projekt BHianca

AHEAD2020-Projektwebsite


Datum der letzten Änderung: 2023-01-01 17:15:01
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