Könnten wir unser Gehirn trainieren, neue Farben zu sehen?

Eigentlich „sehen“ wir eine Farbe nicht wirklich. Wir nehmen sie wahr, wenn unser Gehirn Signale von unseren Augen entschlüsselt. Der Neurowissenschaftler Tom Baden untersucht, was uns daran hindert, neue Farben wahrzunehmen.

Hier liegt auch die Antwort für Vogelbeobachtende, die sich damit schwer tun, männliche und weibliche Blaumeisen voneinander zu unterscheiden. Der Kamm des Männchens erscheint für andere Meisen ultraviolett (UV), doch dieses Unterscheidungsmerkmal ist für uns Menschen nicht sichtbar.

Wie bei anderen Primaten kennt unsere Sehkraft nur drei Farben: Rot, Grün und Blau. Viele andere Säugetiere sehen in zwei Farben (Blau und Grün), Vögel dagegen in vier (Rot, Grün, Blau und ultraviolett).

Wenn unser Gehirn drei Grundfarben zu den vielen Farben verarbeiten kann, die wir am Ende wahrnehmen, könnte ein Quäntchen mehr Gehirnleistung dann neue Farbtöne für uns erschließen?Augen, wie wir sie heute kennen und schätzen, entwickelten sich erstmals vermutlich vor 800 Millionen Jahren in einigen der ersten Organismen des Planeten.

„Diese Urlebewesen lebten im Wasser. Die Fähigkeit Lichtquellen wahrzunehmen – und damit Tag und Nacht zu unterscheiden und die Tiefe zu erkennen – begünstigte daher ihr Überleben“, sagt Baden.

Durch die Evolution mutierte ein Melatoninrezeptor entsprechend zu einem Opsin-Protein, das zur Grundlage so gut wie aller Lichtrezeptoren wurde. Dies führte während der kambrischen Explosion vor über 500 Millionen Jahren schließlich zur Entstehung der Wirbeltiernetzhaut.

Angetrieben von seiner Faszination für das klassische visuelle System von Wirbeltieren, widmete sich Baden der Untersuchung von Zebrafischen, die er als Modelle unserer ersten Vorfahren heranzog. Dabei nutzte er die Zwei-Photonen-Bildgebung und Computeranalysen und führte Feldforschung mit spezialisierten Kameras und Belichtungsmessern durch.

„Zebrafische haben vier Farbrezeptoren, die sogenannten Zapfenzellen, für Rot, Grün, Blau und Ultraviolett, die jeweils eine spezifische Rolle spielen. Wir stellten fest, dass rote Zapfen als Helligkeitssensoren dienen, grüne und blaue als Farbsensoren fungieren und UV-Zapfen die Nahrungserkennung erleichtern. Wichtig ist vor allem, dass die gesamte Verarbeitung der Farbwahrnehmung an der Ausgangssynapse der Photorezeptoren stattfindet – also in der Netzhaut selbst“, erklärt Baden.Unser visuelles System unterscheidet sich erheblich von dem der Zebrafische. Die vier Zapfen ihrer Netzhaut fungieren als Neuronen, die jeweils über eigene Zelloberflächenproteine verfügen. Das macht die Unterscheidung von Wellenlängen unmittelbar möglich und damit einfach.

Die menschliche Netzhaut hat dagegen drei Farbrezeptoren, die für unterschiedliche Bereiche des Lichtspektrums empfindlich sind. Ein Zapfen reagiert auf kurzwelliges Licht, das als blau wahrgenommen wird. Dann gibt es noch einen Mittelwellen-Zapfen für Grün und einen Langwellen-Zapfen, der auf Rot reagiert.Während der Zapfen für Blau einen eigenen Aufbau besitzt, handelt es sich bei den anderen beiden für Rot und Grün in Wirklichkeit um zwei Rot-Zapfen – einen ursprünglichen Rot-Zapfen und ein Duplikat, das auf eine etwas andere Wellenlänge reagiert und daher Grün erkennen kann. Entscheidend ist dabei, dass diese aus evolutionärer und molekularer Sicht identisch sind.

„Der Netzhautschaltkreis kann daher nicht zwischen ihnen unterscheiden und reicht das Problem daher an das Gehirn weiter. Wie dieser Prozess sich vollzieht, ist noch ein Rätsel, doch wahrscheinlich ist daran eine Art Algorithmus beteiligt, der in der frühkindlichen Entwicklung entsteht“, merkt Baden an.Doch wenn unser Farbsinn daher kommt, dass unser Gehirn Signale der Photorezeptoren entschlüsselt, warum kann der neuronale Prozess dann nicht – ähnlich wie eine Software, die sich für die Manipulation digitaler Bilder optimieren lässt – so trainiert werden oder sich so entwickeln, dass sich unser Farbspektrum erweitert?

„Wenn das Gehirn die Signale eines Zapfens vergleicht, um für die Farbwahrnehmung zu sorgen, nimmt es eine ungefähre Schätzung der ursprünglichen Wellenlänge vor. Dazu müssen die neuronalen Schaltkreise zunächst einmal wissen, von welchem Fotorezeptor sie gerade Signale empfangen“, so Baden. „Es gibt ohnehin sehr wenige Signale zu entschlüsseln, doch unser großes Gehirn hat gelernt, genau das zu tun. Insgesamt hat das Gehirn diese Fähigkeit wohl bis zum Maximum ausgereizt und kann nun nicht anders, als mit den vorhandenen Wellenlängen unserer Zapfen zu arbeiten.“

Selbst ausgefeilte Algorithmen sind letztlich durch die eingelesenen Daten beschränkt. Das bedeutet, dass unser Farbraum sich nur erweitern kann, wenn sich unsere retinalen Eingangssignale verändern.

Doch würde uns die Evolution unser lange verlorenes Sehvermögen aus Urzeiten wiederschenken, sodass wir beispielsweise UV sehen könnten, wäre das möglicherweise mit Abstrichen verbunden – einem höheren Krebsrisiko, zum Beispiel.

Interessanterweise haben sich nahezu alle modernen Wirbeltiere – von Fischen und Amphibien bis hin zu Reptilien und Vögeln – das gesamte Spektrum der Ur-Farbrezeptoren erhalten.

„Säugetiere, das heißt auch wir, sind im Hinblick auf das Farbsehen alles andere als das Maß der Dinge, sondern vielmehr die Ausreißer – wahrscheinlich infolge einer evolutionären Überlebenstaktik, die bis in die Dinosaurierzeit zurückgeht! Die eigentliche Frage ist nicht, wie wir mehr sehen könnten, sondern wie wir es überhaupt schaffen, mit unseren dürftigen Grundlagen so viel zu sehen“, bemerkt Baden abschließend.

Klicken Sie hier, um mehr über Badens Forschung zu erfahren: Die Welt mit den Augen eines Fisches sehen


Datum der letzten Änderung: 2022-11-22 17:15:02
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