WISSENSCHAFT IM TREND: Künstliche Intelligenz löst 50 Jahre altes Rätsel der Biologie

Ein neues System mit künstlicher Intelligenz löst ein seit Langem bestehendes und äußerst komplexes wissenschaftliches Problem bezüglich der Struktur und des Verhalten von Proteinen.

Bisher konnten bereits Hunderte Millionen Proteine identifiziert werden. Proteine spielen für beinahe alle Funktionen des menschlichen Körpers sowie bei sämtlichen Organismen eine wichtige Rolle: vom Insulin, das den Zuckerspiegel in unserem Blut reguliert, bis hin zu den Antikörpern, die uns bei der Bekämpfung von Infektionen zur Seite stehen. Ihre dreidimensionale Struktur bestimmt, welche Aufgaben sie ausüben. Ein halbes Jahrhundert lang suchte die Wissenschaft fieberhaft nach einer Methode, mit der vorhergesagt werden kann, auf welche Weise sich ein Protein in diese einzigartige dreidimensionale Struktur faltet. Die Entschlüsselung dieses Vorgangs führt zu entscheidenden Erkenntnissen über die Funktionsweise der biologischen Maschinerie des Lebens.DeepMind, ein Unternehmen für künstliche Intelligenz, das sich im Besitz von Google befindet und in London ansässig ist, liefert nun dank AlphaFold, einem wegweisenden KI-System, das die dreidimensionale Struktur von Proteinen vorhersagt, eine Antwort. Das System bestimmt Strukturen mit beispielloser Genauigkeit und braucht dafür nur wenige Tage. Unter normalen Bedingungen würde dies in einem Labor Jahre dauern. AlphaFold bestimmte die Struktur von ungefähr zwei Dritteln eines aus etwa 100 Proteinen bestehenden Satzes mit einem Genauigkeitsniveau, das sich mit Ergebnissen von Laborversuchen messen kann. Auch für das übrige Drittel konnten sehr exakte Vorhersagen erzielt werden.

Um die Lösung zu finden, tat sich DeepMind mit den Forschenden des 14. Gemeinschaftsexperiments zur kritischen Überprüfung von Techniken zur Vorhersage von Proteinstrukturen (Critical Assessment of Techniques for Protein Structure Prediction, CASP14) zusammen. Im Rahmen dieses Experiments, das als kritische Überprüfung der Vorhersage von Proteinstrukturen (CASP) bekannt ist, versuchen Wissenschaftsgruppen, das Rätsel zu lösen, das die Proteine aufgeben. CASP14, das erstmals 1994 als Gemeinschaftsexperiment CASP1 stattfand, ist eines der vielen Experimente, bei dem Teams aus mehr als 20 Ländern der Welt ihr Modell zur Ermittlung der Proteinstruktur eingereicht haben.

Der Veranstalter von CASP14, Dr. Andriy Kryshtafovych von der University of California, Standort Davis, bezeichnete die Leistung in einer Pressemitteilung als „wirklich bemerkenswert“. „Mit der Möglichkeit, die Struktur von Proteinen schnell und exakt zu untersuchen, könnte eine Revolution in den Biowissenschaften eingeleitet werden. Da jetzt das Problem für einzelne Proteine weitestgehend gelöst ist, eröffnen sich neue Wege für die Entwicklung innovativer Methoden, die die Bestimmung der Struktur von Proteinkomplexen ermöglichen. Bei diesen Komplexen handelt es sich um Zusammenlagerungen von Proteinen, die zusammenarbeiten und dabei einen Großteil der Maschinerie des Lebens bilden. Auch weitere Anwendungen sind denkbar.“Prof. Dame Janet Thornton, emeritierte Direktorin des Europäischen Instituts für Bioinformatik, das Teil des Europäischen Laboratoriums für Molekularbiologie ist und keinerlei Kooperation mit dem Gemeinschaftsexperiment CASP oder DeepMind unterhält, äußerte sich folgendermaßen: „Es ist großartig, diesen Triumph menschlicher Neugier, Anstrengung und Intelligenz bei der Lösung dieses Problems zu beobachten. Tiefgehendere Erkenntnisse über die Proteinstrukturen und das Vermögen, diese mithilfe eines Computers vorherzusagen, führen zu fundierterem Wissen über das Leben, die Evolution und damit selbstverständlich über Gesundheitszustände und Erkrankungen.“

„Es stellt einen aufregenden Moment für diesen Bereich dar“, so DeepMind-Mitbegründer Demis Hassabis gegenüber „The Guardian“. „Diese Algorithmen sind mittlerweile so weit ausgereift und mächtig genug, dass sie bei äußerst anspruchsvollen wissenschaftlichen Problemen Anwendung finden können.“

Die wissenschaftliche Herausforderung wurde damit um Jahrzehnte früher überwunden, als es die Forschungsgemeinde erwartet hätte. „Ich hatte mich bereits fast damit abgefunden, dass ich den Tag, an dem dieses Problem gelöst wird, nicht mehr erleben würde“, fügte Prof. Thornton an. „Wenn wir diese Strukturen genau kennen, können wir auch besser verstehen, wie ein menschlicher Körper angetrieben wird, wie wir funktionieren.“

Andrei Lupas, Evolutionsbiologie am Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie in Deutschland, der die Leistung der verschiedenen Teams beim CASP-Wettbewerb bewertete, berichtete der Zeitschrift „Nature“: „Es ist eine bahnbrechende Innovation. Das wird die Medizin verändern. Es wird die Forschung verändern. Es wird die Biotechnologie verändern. Es wird alles verändern.“

DeepMind wird eine Abhandlung, in der die Erkenntnisse erläutert werden, bei einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift einreichen.


Datum der letzten Änderung: 2020-12-16 17:15:02
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